Robert Capa, der eigentlich Endre Ernő Friedmann hieß, wurde am 22. Oktober 1913 in Budapest geboren. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte Ungarn eine bemerkenswerte Zahl wegweisender Fotografen hervor. Neben Robert Capa zählen dazu unter anderem André Kertész, László Moholy-Nagy und Brassaï. Budapest war um die Jahrhundertwende ein kulturelles Zentrum, in dem Kunst, Literatur und Intellektualität eine Blütezeit erlebten – ebenso die noch jungen Kunst der Fotografie. Die technischen Innovationen der Zeit, insbesondere die Entwicklung kompakter Kleinbildkameras wie der Leica, erlaubten eine neue Art des Fotografierens, schnell und flexibel. Diese technischen Möglichkeiten veränderten auch die Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft. Nun waren Reportagen möglich, die nur aus Bildern bestanden. Wo zuvor der Text die Informationen lieferte, wurde er nun lediglich zur Bildunterschrift. Capa profitiert von diesem Aufbruch. Die Weltpolitik hingegen zwang ihm weitere Veränderungen auf.
Capa stammt aus einer wohlhabenden Familie der jüdischen Mittelschicht. Kunst und Politik hatten ihren festen Platz in diesem Milieu. So engagierte sich der junge Endre bereits zu Schulzeiten politisch, die Künstlergruppe Munkamör um der Maler und Dichter Lajos Kassák war sein Vorbild. Munkamör gab eine Zeitschrift heraus, Munka, die Fotoreportagen nach US-amerikanischem Vorbild veröffentlichte. Sie prägten den Schüler, der wegen seiner Teilnahme an linken Studentenprotesten im Alter von siebzehn Jahren verhaftet wurde. Dank persönlicher Beziehungen kam er bereits am nächsten Tag frei, sollte aber schnellstens das Land verlassen.
So kam er 1931 nach Berlin, wo er sich an der Berliner Hochschule für Politik für ein Journalismusstudium einschrieb. Wenig später zwang die Weltwirtschaftskrise seine Eltern, die Unterstützung für ihn einzustellen. Bettelarm wurde er Laufbursche bei Dephot, dem Deutschen Photodienst. Diese renommierte Agentur war von seinem ungarischen Landsmann Simon Guttmann gegründet worden, der Endre nun entdeckte und zum Fotografielehrling beförderte. Weil niemand sonst zur Verfügung stand, wurde der Azubi 1932 nach Kopenhagen geschickt, um Leo Trotzki zu fotografieren, was eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war, ließ dieser wegen Sicherheitsbedenken doch keine Kameras zu. Capa aber konnte seine kleine Leica unbemerkt mitnehmen und Bilder anfertigten, die für eine erste Bekanntheit sorgten. Die Fotos waren noch nicht gut, trugen aber bereits seine Handschrift. Dass die Bilder tatsächlich in solcher James-Bond-Manier entstanden sind, dafür gibt es außer Capas Erzählungen keinen Beleg, aber diese Erzählungen tragen ein wenig zu seinem Mythos bei.
Auch sein weltberühmtes Foto, »Loyalistischer Soldat im Moment seines Todes«, entfacht bis heute Kontroversen über seine Entstehung und Authentizität sowie die Identität des Milizionärs. »Wahrheit ist das beste Bild«, so der Titel der Ausstellung, bleibt manchmal bei Capa nicht überprüfbar: Viele von seinen Originalnegativen sind verschollen oder vernichtet, und der frühe Tod von Kriegsreporter Robert Capa ließ viele Fragen unbeantwortet.
Ehe Capa sich in Berlin weiter etablieren konnte, zwang ihn die politische Lage 1933, Deutschland zu verlassen und nach mehreren Zwischenstationen in Paris unterzukommen. Auch hier konnte er schnell Fuß fassen: Etliche Ungarn, die er aus Kindertagen kannten, waren ebenfalls emigriert, ebenso hatte er Familie in Paris. Hier konnte er weiterhin fotografieren und seine Kontakte in die Kunstszene ausbauen. Mit Henri Cartier-Bresson und David Szymin (David »Chim« Seymour) bildete er »Die drei Musketiere« und verbrachte Stunden gemeinsam in Cafés.
In Paris lernte er schnell Gerda Pohorylle kennen und lieben. Die beiden arbeiteten zusammen und Endre, der sich nun André nannte, fotografierte Reportagen in Frankreich und Spanien. Doch die Bilder ließen sich zunehmend schwerer verkaufen. 1936 fanden er und Gerda einen Ausweg: Sie erfanden den reichen amerikanischen Fotografen Robert Capa und boten dessen Bilder den Agenturen an. Nun liefen die Geschäfte. Aus Endre Friedmann wurde Robert Capa und Gerda Pohorylle wurde zu Gerda Taro, wobei allerdings beide, Capa und Gerda Taro, gemeinsam unter dem Pseudonym Bilder verkauften.
Der Spanische Bürgerkrieg brachte den Durchbruch für Capa. »The falling soldier« erlangte ikonische Bekanntheit. Im Dezember 1938 bezeichnete die englische Picture Post ihn als »The Greatest War Photographer in the World« und veröffentlichte eine lange Reportage mit seinen Bildern. Dem vorausgegangen war der tragische Tod von Gerda Taro am 26. Juni 1937: Sie war auf der Flucht vor schweren Kämpfen vom Trittbrett eines Wagens gestürzt und von einem Panzer überrollt worden.
Capa ging nach New York, wo mittlerweile seine Mutter und sein Bruder lebten. Zunächst mied er weitere Kriegsreportagen, kehrte dann jedoch nach Spanien zurück und dokumentierte die Schlacht von Teruel und weitere kriegsentscheidende Gefechte. Seine Bilder zeigen die Menschen, die (Über-)Lebensbedingungen, das Elend und die Verzweiflung, zeigten nicht die gesichtslosen Kampfhandlungen, sondern die Schicksale. Er war dichter am Geschehen und näher an den Menschen als andere. Er vermittelte die Bedeutung von Krieg wie kaum ein zweiter Kriegsfotograf.
Capa zeichnete sich durch mehrere Eigenschaften aus: Zum einen war er furchtlos. Er ging mitten in die Kriegsschauplätze. So war er einer der wenigen Fotografen, die die Landung der Alliierten in der Normandie am D-Day im Juni 1944 hautnah miterlebten. Unter Lebensgefahr stürmte er mit den Soldaten den Omaha Beach, den Strand der Normandie, und hielt die Schrecken und den Mut dieses Tages in seinen Bildern fest.
Eine weitere Eigenschaft war seine Neugierde. Er interessierte sich nicht nur für das Hauptgeschehen, sondern für alles am Rande. Als Kriegsreporter zeigte er auch das Leben der Zivilbevölkerung, ihre Ängste und Entbehrungen. Bei der Tour de France, die er 1939 fotografierte, porträtierte er die Fahrer, deren Familien und die Zuschauer am Wegesrand und lieferte dadurch einen besseren Einblick, als die Fotos des Fahrerfelds bieten könnten.
Ein dritter Punkt: Er war ein Freund. Er zählte Ernest Hemingway und Henri Cartier-Bresson zu seinem Kreis, Pablo Picasso und Ingrid Bergman, mit der er eine Liebesbeziehung hatte, und viele Menschen, deren Namen weniger bekannt sind. Capa galt als unterhaltsam, charmant, hilfsbereit. Sein Interesse an Menschen zeigt sich im Privaten wie in seinen Bildern.
In New York war der Ungar nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg als feindliche Person klassifiziert und hatte Mühe, Auslandseinsätze wahrzunehmen. Dennoch gelang es ihm, eine Akkreditierung für die US-Streitkräfte zu erhalten. Ab 1941 fotografierte er in London, Nordafrika und Sizilien. Bei der Invasion in die Normandie waren sechs Life-Fotografen zugelassen, und es waren seine Bilder, die die Landung der alliierten Streitkräfte in unser Gedächtnis gebrannt haben. Viele seiner Aufnahmen wurden möglicherweise (auch hier gibt es verschiedene Versionen der Geschichte) versehentlich im Fotolabor zerstört, doch die wenigen verbliebenen Fotos gingen in die Geschichte ein.
Capa folgte den Truppen in die Ardennenoffensive und dokumentierte die letzten Kriegstage in Leipzig. In Berlin traf er Ingrid Bergman wieder. Sie begannen eine Romanze. Er ging mit ihr nach Hollywood, wo er sich für das Filmgeschäft zu interessieren begann und für Alfred Hitchcock fotografierte. Dieser nahm die beiden zum Vorbild für seinen Film »Das Fenster zum Hof«. Im echten Leben hielt die Romanze allerdings nicht.
In den Friedenstagen erfüllte sich Capa, mittlerweile US-Staatsbürger, einen Traum, den er bereits Ende der 1930er-Jahre skizziert hatte: Er gründete 1947 gemeinsam mit den Fotografen Henri Cartier-Bresson, David »Chim« Seymour und George Rodger, daneben Maria Eisner, William und Rita Vandivert in New York die Fotoagentur Magnum Photos. Ziel war es, den Fotografinnen und Fotografen mehr Kontrolle über ihre Arbeit zu geben und eine unabhängige Berichterstattung bei gleichzeitig fairer Bezahlung zu ermöglichen. Fotografen kamen hinzu und beteiligten sich mit Teilen ihres Honorars an der Agentur, die ihrerseits Aufträge generierte und bei der Abwicklung half. Capa selbst erfreute sich besonders daran, neue Talente zu entdecken und ihnen mit Magnum zu Bekanntheit zu verhelfen.
Seine eigenen Projekte führten ihn immer wieder ins Ausland. So unternahm er eine Reise mit John Steinbeck nach Russland, wo er das Leben der Bauern und Arbeiter festhielt. Weitere Reisen führen ihn nach Polen und Ungarn. In der Geburtsstunde des Staates Israel war er in Tel Aviv und zeigte, wie Menschen von Schiffen kamen, um in einer neuen Heimat anzukommen, und wie der Staat am zweiten Tag seines Bestehens angegriffen wurde. Sofort war er wieder Kriegsfotograf.
Von Amerika hielt er sich lieber fern, die McCarthy-Ära machte auch Capa zu einer Zielscheibe. Er ließ es sich in Paris und an der Côte d’Azur gut gehen, pflegte seine Beziehungen zu Literaten und Künstlern, Frauen, Bars und dem Glückspiel.
Im April 1954 besuchte er Japan auf Einladung einer Tageszeitung. Die Reise sollte drei Monate dauern. Life kontaktierte ihn, er möge in Indochina für einen Kollegen einspringen. Trotz vehementer Warnungen ließ er sich darauf ein. Am 25. Mai 1954 starb er im Alter von vierzig Jahren, als er auf eine Mine trat, während er einen Konvoi französischer Soldaten begleitete.
Capa sagte: »Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran«, ein Satz, den viele räumlich interpretieren. Das ist nicht falsch, doch Capa wollte nah am Menschen sein, das Menschsein dokumentieren. Mitunter war dies eine große Belastung für ihn. »Die Wahrheit zu schreiben ist so schwer, dass ich mir erlaubt habe, ein paar Korrekturen vorzunehmen, um sie besser ausdrücken zu können«, zitiert ihn Richard Whelan im Vorwort von Capas Autobiografie. »Wahrheit ist das beste Bild« wird damit zu einem Teil der Wahrheit, und Capa bleibt neben der Ikone, die er ist, doch jemand, der hinterfragt werden muss.
Die Ausstellung in Münster versammelt eine beeindruckende Auswahl von Capas Arbeiten. Zu sehen sind seine unverwechselbaren Kriegsbilder ebenso wie Porträts von Prominenten wie Pablo Picasso oder Ernest Hemingway sowie Fotos von seinen Reisen und fröhliche Bilder in Farbe. Die Schau ermöglicht einen umfassenden Blick auf Capas Werk und lässt den Menschen hinter der Kamera lebendig werden. Und man beginnt zu verstehen – anhand der Fotos, die Capa zeigen –, warum eine Zigarette im Mundwinkel als der Inbegriff von Coolness gelten kann.
Robert Capas Art des Fotografierens war geprägt von seiner Nähe zum Geschehen und seiner Fähigkeit, den entscheidenden Moment einzufangen. Er ging dorthin, wo die Action war, mitten ins Kampfgeschehen, und scheute keine Gefahr, um die Realität des Krieges so nah und ungeschönt wie möglich zu dokumentieren. Seine Bilder zeichnen sich durch ihre Unmittelbarkeit und Intensität aus. Er fotografierte mit kleinformatigen Kameras, oft der Leica, die es ihm ermöglichten, schnell und spontan zu arbeiten. Dadurch konnte er auch in unübersichtlichen und gefährlichen Situationen den richtigen Moment erwischen. Seine Aufnahmen wirken oft wie Schnappschüsse, eingefangen im Bruchteil einer Sekunde, und vermitteln gerade dadurch die Dramatik und Spontaneität des Augenblicks. Obwohl er die Schrecken und die Gewalt nicht ausspart, gelingt es ihm immer wieder, Momente der Menschlichkeit, der Empathie und der Würde festzuhalten.
Capa hatte ein Gespür für die leisen Zwischentöne, für die Gesten und Blicke, die inmitten des Chaos auf das Wesentliche verweisen. Dabei war seine Herangehensweise geprägt von einem tiefen Respekt für seine Subjekte. Er sah sich nicht als distanzierten Beobachter, sondern als Teil des Geschehens. Er teilte die Gefahren und Entbehrungen der Soldaten, lebte mit ihnen, und gewann so ihr Vertrauen. Diese Nähe und Empathie spiegeln sich in seinen Bildern wider, die nie voyeuristisch oder ausbeuterisch wirken, sondern stets von Mitgefühl und Verständnis geprägt sind.
Technisch zeichnen sich Capas Aufnahmen oft durch eine körnige, kontraststarke Ästhetik aus, die der Dringlichkeit und Rauheit seiner Motive entspricht. Er arbeitete meist mit vorhandenem Licht und langen Verschlusszeiten, was seinen Bildern eine spezielle Dynamik und Lebendigkeit verleiht. Gleichzeitig hatte er ein Gespür für Komposition, sodass seine Fotos oft eine ausgewogene, fast grafische Qualität haben.
Robert Capas Werk nimmt einen zentralen Platz in der Geschichte der Fotografie ein. Er revolutionierte den Fotojournalismus und prägte unser Bild von den Konflikten des 20. Jahrhunderts. Seine Aufnahmen vom Spanischen Bürgerkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und später dem Indochinakrieg konfrontieren uns mit der brutalen Realität des Krieges, lassen uns aber auch die Hoffnung und Widerstandskraft des menschlichen Geistes spüren. Dabei ging es ihm nie darum, den Krieg zu heroisieren oder zu ästhetisieren, sondern darum, seine Schrecken und seine Sinnlosigkeit schonungslos offenzulegen.
Mit der Gründung von Magnum ermöglichte er den Fotografen, die Rechte an ihren Bildern zu behalten und langfristige, selbstbestimmte Projekte zu verfolgen. Dieser Ansatz setzte neue Maßstäbe im Fotojournalismus. Magnum wurde zu einer Institution, die für Qualität, Integrität und eine humanistische Weltsicht steht.
Capas Einfluss auf die Fotografie ist kaum zu überschätzen. Er zeigte, dass Fotografie mehr sein kann als bloße Dokumentation, dass sie eine Kraft hat, Menschen zu berühren und zum Nachdenken zu bringen. Auch wenn Capa selbst oft betonte, kein Künstler, sondern ein Handwerker zu sein, haben seine Fotografien eine zeitlose Qualität.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 29. September 2024, und wir können den Besuch nur empfehlen.
Aufgrund seiner Freundschaft zu Pablo Picasso liegt es nahe, dass Capas Retrospektive im Kunstmuseum Pablo Picasso Münster gezeigt wird.
Weitere Informationen:
https://www.kunstmuseum-picasso-muenster.de/
Titelbild: Picasso-Museum
Drittelregel Terhaag, Schütze, Vigoo GbR
Brend’amourstr. 5
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