Ich wohne nicht mehr dort, wo ich geboren und aufgewachsen bin, habe den Ort vor vielen
Jahren verlassen. Wie jedes Kind hatte ich Träume. Damals gab es viele Fernsehserien, in denen Kinder wilde Tiere zu Hause hatten. Eine hatte es mir besonders angetan: »Frei geboren«. Ich wollte fortan auch eine Raubkatze. Das ging natürlich nicht, das wusste ich, und wollte es dennoch. Bis ich meine ersten Raubkatzen in freier Wildbahn sah und Kontakt zu ihnen hatte, vergingen Jahrzehnte. Auch mein zweiter Wunsch ließ sich damals nicht realisieren: Als mein Onkel eines Tages mit seinem Mercedes zu Besuch kam und mir erzählte, was in dem Auto alles zum ersten Mal in einem Serienauto verbaut wurde, war ich total begeistert und lernte die Prospekte dazu fast auswendig. Nun wollte ich auch noch Entwickler bei Mercedes werden. Auch das ging nicht von DDR-Seite aus. Ich verließ also meine damalige Heimat. Ich wurde einer der Entwickler bei Mercedes. Das ermöglichte nicht nur die Reisen in alle Welt, sie wurden Teil meines Lebens. In den vergangenen zwanzig Jahren waren es 1085 Flüge. Es waren unglaublich viele und interessante Reisen, immer mit viel Kontakt zu Einheimischen. Dabei habe ich mich fast nicht um meine Wahlheimat gekümmert …
Im Zentrum der Collage liegen die 1085 Flugtickets, umgeben von ein paar Bordkarten – dort unten links eine für einen USA-Flug, auf der bereits im Druck der SSSS Vermerk steht für Reisende, die besonders genau kontrolliert werden. In jenem Jahr war ich in Tansania, Sansibar, Kolumbien, Mexiko und Südafrika, bevor ich in die USA flog, das reicht für 4S aus. Rot unterlegt finden sich Erinnerungen aus der alten Heimat, die imposanten Gebäude, meine Familie, meine Freunde. Da stehen zig Mopeds aus der Clique und mein Moped, gepimpt, inspiriert von Easy Rider, zumindest für mich damals. Links daneben meine mittlerweile richtige Harley, rechts stolz das schicke Testfahrzeug. Rund um das Zentrum Bilder von Tieren und Menschen aus Afrika und Porträts von mir mit Raubkatzen. Um das alles herum ein bunter Wirrwarr von Eindrücken und Must-Sees. Aber auch tolle Landschaften, Hotelzimmer, Menschen, berühmte Shows. Ein paar Bilder auch von Situationen, die man nicht erleben muss: eine Razzia in Rio und eine Schießerei am Checkpoint in Palästina.
Und doch bleiben die Fragen offen: Wo ist meine Heimat? Wo ich geboren wurde, wo ich aufgewachsen bin, wo ich mich gut fühle, wo ich oft bin, wo ich lebe, wo meine Familie lebt, wo ich Dinge entdecke oder wo ich Dinge tue, die ich liebe, wo ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe, oder wo ich meine Wünsche verwirklichen kann? Benötige ich eine Heimat? Was ist der Unterschied zwischen Wohlfühlen und innerem Gefühl, wenn ich zu Hause ankomme? Ist es wichtig, eine Heimat zu haben? Kann ich Heimat kaufen?